• Lösungen, um Wohnraum für Ortsansässige zu schaffen

Lösungen, um Wohnraum für Ortsansässige zu schaffen

20.05.2022

Bezahlbarer Wohnraum ist knapp – nicht nur in den Tourismusorten, auch in den Städten. Leidtragende sind in erster Linie Einheimische und Ortsansässige, die sich mit zahlungskräftigen Auswärtigen um die wenigen angebotenen Wohnungen konkurrieren. Gründe für diese ungesunde Entwicklung gibt es einige. Der Hauseigentümerverband Graubünden will konstruktive Lösungen aufzeigen und damit einen Beitrag leisten, um die Erstwohnungsproblematik zu entschärfen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Gemeinden zu. Sie verfügen über einen grossen Massnahmenkatalog, um das Problem zu entschärfen.

       1. Ausgangslage

In Touristenorten sind Wohnungen für Einheimische ein knappes Gut. Dadurch ist der Wohnraum teurer geworden. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Haupttreiber der Problematik sind die Revision des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG), die Tiefzinspolitik der Notenbank, die Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative, die pandemiebedingte starke Nachfragesteigerung und die günstigen Finanzierungsmöglichkeiten.

Das Thema ist nicht neu. Es war bereits vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative klar, dass durch das Verbot des Neubaus von Zweitwohnungen die Nachfrage nicht mehr gedeckt würde. Das Ziel der Zweitwohnungsinitiative, dass weniger gebaut wird, ist erreicht. Dadurch steigt jedoch der Druck auf die Dorfkerne und damit auf die Wohnungen der einheimischen Bevölkerung, welche als sogenannte altrechtliche Wohnungen keine Einschränkungen in der Benützung kennen. Einheimische konkurrieren zunehmend mit zahlungskräftigen Auswärtigen um die wenigen Wohnungen, die überhaupt noch angeboten werden.

Mit dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz, das im Jahr 2013 vom Schweizer Volk angenommen wurde, müssen die Bauzonen auf den Bedarf von 15 Jahren ausgerichtet werden. Überdimensionierte Bauzonen sind somit zu reduzieren. Damit wird das verfügbare Bauland beschränkt, was bei steigender Nachfrage zu höheren Preisen führt.

Mit dem Homeoffice während der Pandemie haben viele das Berggebiet als Arbeits- und Erholungsraum neu entdeckt. Dies hat zu einer gesteigerten Nachfrage nach mehr und ausgedehnterem Wohnraum in attraktiver Umgebung geführt. Mitverantwortlich für diese Entwicklung ist auch die Abwanderung, welche dazu führt, dass Wohnungen in sogenannten altrechtlichen Bauten vermietet und veräussert werden. Auch Erbteilungen führen zum Verkauf oder zu einer Vermietung, wenn die Erben kein Interesse oder keine finanziellen Möglichkeiten haben, die Wohnung zu behalten. Vermietungen an nicht Ortsansässige sind lukrativer.

Die Problematik betrifft jedoch nicht nur die Tourismusorte. In vielen Städten besteht dasselbe Problem. Wer nicht viel verdient oder nicht in eine vergünstigte Wohnung einziehen kann, muss am Rand der Agglomeration mieten oder kaufen und dafür 30 bis 90 Minuten Arbeitsweg in Kauf nehmen. In Graubünden ist es die freie Sicht auf Berge, im Unterland die Seesicht – beides für Normalverdiener mittlerweile fast unbezahlbar.

Fazit: Die Problematik präsentiert sich örtlich sehr unterschiedlich sowie inhaltlich vielschichtig, juristisch komplex und politisch delikat.

       2. Wo sieht der HEV Graubünden Ansätze zur Lösung der Erstwohnungsproblematik

Der Hauseigentümerverband Graubünden befürwortet Massnahmen, welche die in der Verfassung verankerte Eigentumsgarantie, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und das Gebot der Rechtsgleichheit befolgen respektive garantieren. Weder das Raumplanungsgesetz noch das Zweitwohnungsgesetz gehen diesen Rechten von Verfassungsrang vor. Neue Gebote, Verbote, Bewilligungspflichten sowie andere Eingriffe in die Eigentumsrechte lehnt der HEV jedoch ab. Ebenso höhere Steuern, Abgaben und Gebühren. Immobilien sind bereits heute fiskalisch sehr stark belastet.

Hingegen ermuntert er insbesondere die Gemeinden, die bestehenden Instrumente besser zu nutzen. Eine «Patentlösung» für die Gemeinden gibt es nicht, denn die Probleme und die Lösungsmöglichkeiten sind sehr gemeindespezifisch. Folglich benötigt es stets eine gemeindebezogene Analyse und gestützt darauf eine individuelle Gemeindelösung.

Gemeinden sollen Möglichkeiten ausschöpfen

Im Zusammenhang mit der Umsetzung des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes hat der Kanton Graubünden den Gemeinden diverse Hilfsmittel zum Thema «Wohnbau für Ortsansässige» zur Verfügung gestellt. Das vom Amt für Raumentwicklung Graubünden erstellte Handbuch «Baulandmobilisierung und Ausgleich planungsbedingter Vor- und Nachteile» enthält eine Palette von möglichen Massnahmen für eine aktive Boden- und Baulandpolitik der Gemeinden. Darunter fallen zum Beispiel der Kauf und Verkauf von Grundeigentum, der Austausch von Grundeigentum (Realersatz), die Abgabe von Land im Baurecht sowie die Vermietung und Verpachtung von Grundeigentum. Auch eine Förderung und Zusammenarbeit mit Dritten, wie Wohnbaugenossenschaften und Stiftungen können Ansätze darstellen. Dabei müssen verschiedene Lösungsansätze gleichzeitig verfolgt werden. Und notabene: Wenn Lösungsansätze erkannt werden, müssen auch die ortsplanerischen Voraussetzungen dafür geschaffen, Baugesetze angepasst und die politischen Mehrheiten dafür gefunden werden sowie Einzonungen möglich sein.

Baulandmobilisierung

Die Baulandmobilisierung ist ein zielführender Ansatz. Wird ein Grundstück der Bauzone zugeführt, gehen die staatlichen Planungsträger davon aus, dass dieses innert der nächsten 15 Jahre überbaut wird. Dabei ist zu beachten, dass die Umsetzung des «RPG-1» die Gemeinden dazu verpflichtet, überdimensionierte Bauzonen zu redimensionieren. Folglich ist eine «Baulandmobilisierung» nur in Gemeinden möglich, die noch Einzonungen vornehmen können. Eine gute Gelegenheit für die Gemeinden den Baulandanteil zu erhöhen, besteht darin, eigenes Land im oder am Rande des Siedlungsgebietes – eventuell zusammen mit den Bürgergemeinden – zu mobilisieren. Dabei müssen die Gemeinden weder als Investoren noch als Bauherren auftreten.

Erstwohnungsanteilsregelung bei Umbauten oder Ersatzneubauten

Die baugesetzliche Erstwohnungsanteils- und Kontingentierungsregelung gab es bereits vor der Zweitwohnungsinitiative. Sie kann beispielsweise bei Umbauten, Wiederaufbauten, Ersatzbauten und Erweiterungen wiedereingeführt werden. Denkbar ist auch die Einführung von Erstwohnungsanteilen nach einem Abbruch des Altbestandes und bei Umnutzungen. Aus Sicht des HEV Graubünden wäre dies eine Massnahme, deren Auswirkungen es gut zu überlegen gilt, weil das Korsett von Vorschriften, die sich überschneiden und widersprechen, genügend eng ist. Zudem ist dieser Ansatz nicht frei von Komplexität und juristisch entsprechend sehr sorgfältig zu regeln.

Meldepflichten

Hier stellt sich die Frage, ob Meldepflichten in den kommunalen Zweitwohnungsgesetzen hilfreich sind, wonach der Eigentümer die Vermietung und der Erwerber die Umnutzung einer altrechtlichen Wohnung nach ZWG, die am 11. März 2012 zu Erstwohnzwecken genutzt worden sind, dem Gemeindebauamt (im Voraus) anzuzeigen hat? Es gilt klar festzuhalten, dass altrechtliche Wohnungen frei nutzbar sind, das heisst als Erst- oder als Zweitwohnungen. Spezielle Meldepflichten bei der Vermietung altrechtlicher Wohnungen lehnt der HEV Graubünden deshalb ab, auch wenn viele Gemeinden dies in ihren Zweitwohnungsgesetzen schon vorgesehen haben. Im Zusammenhang mit der Erhebung von Gäste- und Tourismustaxen bestehen nämlich bereits Meldepflichten. Die Gemeinde müsste bei einer speziellen Meldepflicht also schon sehr plausibel darlegen können, wozu diese genau dienen soll. Jede Gemeinde kann sich heute schon über das Einwohnermeldeamt ein umfassendes Bild über die Wohnungsnutzungen in ihrer Gemeinde machen. Auch gilt die kantonale Vorschrift von Art. 11 Zweitwohnungsgesetz heute schon.

Beim Verkauf liegt die Situation ein wenig anders, wenn nach dem Verkauf bauliche Veränderungen erfolgen und die Gemeinde gestützt auf Art. 12 Zweitwohnungsgesetz unter dem Titel «Missbrauch und ungünstige Entwicklungen» Massnahmen erlassen kann. Auch hier wäre von der Gemeinde konkret darzulegen, wozu die spezielle Meldepflicht genau dienen soll, denn mit dem Baugesuch erlangt die Gemeinde ja Kenntnis von der geplanten baulichen Anpassung; bei der Bauabnahme kann die Verwendung kontrolliert werden. Weitergreifende Massnahmen wie Bewilligungspflicht oder gar Verbote zur Umnutzung lehnt der HEV Graubünden ab.

Förderung privater Wohnbaugenossenschaften

Die Gemeinden sollten auf solche Genossenschaften vermehrt zugehen, um deren Absichten und die allfälligen Probleme bei deren Projektumsetzung zu verstehen. Daraus wird dann ersichtlich, inwieweit die Gemeinde unterstützend wirken kann. Grundsätzlich ist dies ein zu verfolgender Ansatz, weil er marktgerecht ist: Die Abgabe von Gemeindeland an private Wohnbaugenossenschaften zu fairen Baurechtszinsen und mit klaren statutarischen Vorgaben für die Vermietung von Wohnungen. Dabei haben die privaten Genossenschaften vor der Volksabstimmung ihre Mietpreisstrukturen offenzulegen.

Staatlicher (Sozial-)Wohnungsbau

Bei der Wohnungspolitik von Gemeinden ist klar zwischen dem «einfachen» Wohnungsbau und dem «sozialen» Wohnungsbau zu differenzieren. Viele Gemeinden haben bereits eigene Wohnungen gebaut oder gekauft und umgebaut. Unseres Erachtens kann eine Gemeinde mit dem «einfachen» Wohnungsbau schon einiges leisten. Dieser Handlungsspielraum liesse sich rasch nutzen. Natürlich müssen auch hier die entsprechenden Voraussetzungen bestehen; so muss beispielsweise Bauland vorhanden sein. Jedoch erachtet der HEV Graubünden eine aktive staatliche Sozialwohnbaupolitik der Gemeinden mit Ankauf von Land oder Gebäuden sowie eigener Bau- und Vermietungstätigkeit für sehr problematisch. Es werden dadurch zu viele Staatsgelder gebunden, was die Investitionstätigkeit in wichtigere Projekte verhindern oder zumindest erschweren würde.

Sollten die Gemeinden keine andere Möglichkeit haben als den Sozialwohnungsbau zu fördern, sollte die Finanzierung über die Mehrwertabgabe erfolgen.

Zurzeit nicht bewohnbare Ställe

Wie soll mit grossen Ställen umgegangen werden, welche sich in der Bauzone befinden und zurzeit unbewohnbar sind? Dieser Themenbereich wurde schon bei der Erarbeitung des Zweitwohnungsgesetzes kontrovers diskutiert. Es ging und geht um die Frage, ob solche Ställe in der Bauzone erhalten werden oder dem Verfall preisgegeben werden sollen. Die Lösung bestand darin, in geschützten oder ortsbildprägenden Bauten unter strengen Voraussetzungen neue Wohnungen ohne Nutzungsbeschränkung zuzulassen. Solche Umbauten müssen von der Denkmalpflege geprüft werden. Der HEV befürwortet die Umnutzungsmöglichkeit.

Verdichtungsgebot

Allenfalls liesse sich noch über das Verdichtungsgebot mit einer erhöhten Ausnützungsziffer für Erstwohnungen eine Wirkung erzielen. Die erhöhte Nutzung wäre dann an die Auflage geknüpft, die Wohnung als Erstwohnung zu nutzen. Ob solche Wohnungen dann auch preisgünstig zu erstellen wären, ist nicht garantiert. Dies hängt dann wieder von den Baukosten ab, auf die das Zweitwohnungsgesetz keinen Einfluss hat. Das Gebot der Verdichtung ist auch Bestandteil der Massnahmen, die das RPG 1 vorsieht, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Aufzonungen bedürfen aber immer der Zustimmung der jeweiligen Gemeindeversammlungen. Bei Areal und Quartierplänen besteht bei guter Gestaltung beispielsweise die Möglichkeit, einen Bonus (20 Prozent) auf die Ausnützungsziffer zu gewähren.

Bessere Kontrolle der Erstwohnpflicht

Das Problem: Zweitheimische nehmen in einer Gemeinde Wohnsitz, um eine Erstwohnung zu bewohnen – sie benutzen jedoch die Wohnung als Zweitwohnung. Gemäss Artikel 23 Zivilgesetzbuch befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem Ort, «wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält». Das heisst dort, wo man seinen Lebensmittelpunkt hat und Steuern zahlt. Nach schweizerischem Recht gibt es nur einen Wohnsitz. Nun gibt es Fälle, bei denen die Papiere hinterlegt und Steuern bezahlt werden, aber die Erstwohnung faktisch als Zweitwohnung genutzt wird. Um dies zu verhindern, müssten die Gemeinden schon früh klären, ob die Person tatsächlich in der Gemeinde Wohnsitz nimmt. Lösung: Die Gemeinde verknüpft die Baubewilligung, in welcher die Nutzung festgelegt wird, mit der Einwohnerkontrolle. So kann eine Umgehung der Wohnsitznahme später leicht festgestellt werden.

Nutzung energetischer Förderbeiträge

Die Umnutzung von Erst- in Zweitwohnungen sind primär finanziell begründet. Das Bündner Energiegesetz sieht vor, bei Sanierungen Beiträge aus den Energiefördertöpfen zu sprechen. Die Gemeinden können diese nun aufstocken, so dass der finanzielle Anreiz zur Umwandlung von einer Erst- in eine Zweitwohnung vermindert wird. Dadurch bleiben Erstwohnungen erhalten.

       3. Fazit

Die Problematik präsentiert sich örtlich sehr unterschiedlich sowie inhaltlich vielschichtig, juristisch komplex und politisch delikat. Eine «Patentlösung» gibt es nicht, denn die Probleme und Lösungsmöglichkeiten sind sehr gemeindespezifisch. Es gilt das vorhandene Instrumentarium zu nutzen, bevor Regelungen getroffen werden. Gesetzliche Regelungen sind weder auf Bundes- noch auf kantonaler Ebene notwendig. Hingegen verfügen die Gemeinden über ein ansehnliches Instrumentarium, das es zu nützen gilt.

Mögliche Lösungen in Stichworten:

  • Gemeinden sollen das vorhandene Instrumentarium nutzen
  • Baulandmobilisierung durch die Gemeinden. Insbesondere soll gemeindeeigenes Land im oder am Rand des Siedlungsgebietes mobilisiert werden
  • Erstwohnungsanteilsregelung bei Umbauten oder Ersatzneubauten gemäss Zweitwohnungsgesetz
  • Förderung von privaten Wohnbaugenossenschaften
  • Staatlicher (Sozial-) Wohnungsbau
  • Zurzeit nicht bewohnbare Ställe einer Umnutzung als Erstwohnung zuführen
  • Verdichtungsgebot – Erhöhung Ausnützungsziffer für Erstwohnungen
  • Beschleunigung und Digitalisierung der Prozesse im Baubewilligungsverfahren